Portrait der Autorin mit sichtbaren Tattoos
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Über Träume, Ängste und Trotzdems.

Auch wenn Träume und Kindheitshelden wie Feivel, der Mauswanderer, von dem ich euch letztes Mal erzählt habe, ein gutes Stück weit auf dem Weg begleiten und unterstützen, begegnet Einem doch immer wieder die Realität. Ein altes Sprichwort sagt: “Es ist nie zu spät neu anzufangen.” Das hat aber zum Beispiel dem Bafög Amt oder den Stiftungen noch keiner gesagt. Und den Selbstzweifeln auch nicht. Aber dazu später, wir starten lieber mit rosaroten Glückswölkchen. Die zieren nämlich auch im dritten Semester noch den Horizont. Versprochen.

Erkenntnis 4: Schlaraffenland gibt`s wirklich

So habe ich mich zumindest gefühlt, als die ersten Vorlesungen im Wintersemester 2018 endlich starteten. Natürlich wäre ich lieber in die Uni spaziert und hätte plakativ meine neue Zugehörigkeit zu einer Welt zelebriert, die theoretisch keinen Platz für mich hat. Gerne hätte ich das triumphierende Gefühl genossen, ein Selfie gemacht und es, sollte sich die Gelegenheit einmal ergeben, der ehemaligen Hausdame meines Ausbildungsbetriebs unter die Nase gerieben – sie prophezeite meinem 16-jährigen Ich schließlich, dass es bei all der Unfähigkeit sowieso in der Gosse landen würde. Und noch so Einiges mehr, das wir hier lieber nicht ausformulieren wollen. Wieder was dazu gelernt: Du bist nicht, was die Anderen sagen. Als erwachsene Frau weiß man das im Regelfall – als Jugendliche, frisch aus dem Elternhaus und im Berufsleben angekommen, vielleicht nicht unbedingt.

Da saß ich also vor meinem Laptop und bin fast geplatzt vor Stolz. Und auf meinem Bildschirm Germanistik-Schlaraffenland. Allein für dieses Glücksgefühl lohnt es sich. Wenn Bilder, Assoziationen, Fragen aufploppen wie rosa Wolken und du dir denkst: Ich verstehe Nichts – aber hier bin ich richtig.

Erkenntnis 5: Zurück zum Kind und plötzlich erwachsen

Ich würde schummeln, wenn ich sagen würde, dass es einfach ist. Ich würde aber auch schummeln, wenn ich sagte, ich hätte keinen Rückhalt. Beides hat seinen Preis. Das eine kostet Freizeit, das andere ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit. Um meinen Traum verwirklichen und gleichzeitig meine finanziellen Pflichten stemmen zu können, habe ich eine eigene Wohnung aufgegeben und bin nach 16 Jahren wieder bei meinen Eltern eingezogen. Das bringt einen gewissen Luxus mit sich. Zum Beispiel dass die Mutter die Wäsche wäscht. Dafür entscheidet sie aber auch, wann gewaschen wird, unabhängig davon, ob mir das gerade passt. Auch schien in meinen Eltern ganz kurz die Hoffnung aufzukeimen, ich würde nun, da ich zurück im Dorf bin, meine äußere Erscheinung wieder anpassen. Leider musste ich sie da aber enttäuschen – meine Farben nimmt mir keiner mehr. (Und ja, ich träume immer noch von meinen geliebten blauen Haaren.)

Um mein Leben zu finanzieren, braucht es trotzdem ein bisschen mehr als ein schönes Dach über dem Kopf. Ich habe also zeitgleich mit der Schule wieder in meinem alten Beruf als Rezeptionistin angefangen. Ich arbeite jede Woche ca. 20 Stunden. Im Regelfall am Wochenende. Das bedeutet unter der Woche Vorlesungen, Lernen, Hausarbeiten; ab Freitag Abend Gäste empfangen und betreuen, freundlich sein, Emails, freundlich sein, Telefon, freundlich sein. Das macht an sich Spaß. An manchen Tagen aber auch einfach müde und neidisch auf Mitstudierende, die nur 1x die Woche arbeiten und sich an ihren freien Tagen um die schönen Dinge des Lebens kümmern. Nichtsdestotrotz bin ich froh, in meinem Hotel mit tollen Kolleg*innen zusammenzuarbeiten und so auch ein Stück weit meine Wurzeln nicht zu verlieren. Immerhin weiß ich inzwischen, dass unter anderem sie es sind, die uns einzigartig machen

Erkenntnis 6: Chancengleichheit ist ein schönes Wort

Wir brauchen nicht darüber reden, wie privilegiert wir hier in Deutschland im Vergleich zu manch anderen Ländern sind und betrachtet man diese Umstände, scheint das mit der Chancengleichheit Jammern auf hohem Niveau. Auch innerhalb Deutschlands gibt es große soziale Differenzen und ich kann nicht sagen, dass ich die schlechtesten Bedingungen hatte. Dennoch habe ich keine Eltern, die irgendwelche Kosten für mich tragen können. Keine Wohnung. Kein Taschengeld.

Vor Allem aber musste ich lernen, dass 30 eine magische Deadline zu sein scheint. Auf meine Anfrage beim Bafög Amt wurde mir umgehend mitgeteilt, dass ich mir die Mühe, einen Antrag zu stellen, gar nicht erst machen müsse – mit 34 würde ich sowieso nicht mehr gefördert werden. Trotz der Option elternunabhängigen Bafögs, besteht ein möglicher Anspruch auf finanzielle Unterstützung nur, wenn bis zum 30. Lebensjahr das Bachelorstudium oder bis zum 35. Lebensjahr das Masterstudium begonnen wurde. Auch über den Stipendien der meisten Stiftungen schwebt das 30. Lebensjahr wie ein Damoklesschwert. Und die Hoffnung darauf, ohne versicherten Job die Krankenversicherung nicht selbst zahlen zu müssen – völlig utopisch. Was eine Versicherung über die Familie betrifft, ist schon mit 26 der Zug abgefahren. Auf Andere verlassen funktioniert also nicht. Und ich gebe ehrlich zu, ich wüsste nicht, welchen Tipp ich Jemanden geben könnte, der im Vergleich zu mir noch Verantwortung für eine Familie trägt und davon träumt, nochmal durchzustarten.

 

Erkenntnis 7: Trotz Zweifel richtig

Selbstzweifel bleiben nicht aus. Ich ertappe mich immer wieder bei dem Gedanken, dass Andere es besser haben. Weil sie über (mehr) Vorbildung verfügen. Weil sie jünger sind. Weil meine Vorbilder mir soweit voraus sind, dass ich sie nie mehr einholen kann. Aber das ist Unsinn.

Wir müssen unsere Perspektive auf die Dinge ändern: Mit meiner Herkunft und Erfahrung bringe ich etwas Einzigartiges mit. Sie erlauben mir, einen anderen Blickwinkel einzunehmen und stärken meine Kommunikationsfähigkeit. Ich habe meine eigene Art zu sprechen, zu vermitteln, zu planen. Ich habe meine eigenen Ideen. Das sind keine Nachteile, das sind Alleinstellungsmerkmale. Wir alle verbringen viel zu viel Zeit damit, uns zu vergleichen. Dabei bleiben wir in Selbstzweifeln stecken und verlieren uns selbst und unsere Zeit aus den Augen. Wir sollten viel mehr darauf achten, dass unser Hintergrund uns die Fähigkeit gibt, eine ganz individuelle Stimme zu sein. Und wenn unsere Stimme von ihren Träumen spricht: Lassen wir sie sprechen und legen los. Finden wir Wege. Trauen wir uns.

 

Wenn du Teil 1 des Blogs zu meinem späten Studienstart verpasst hast, findest du ihn hier nochmal zum Nachlesen: 34, tätowiert, Arbeiterkind – Ersti….

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(Picture by the talented Mad Scientist Photography)

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Natascha Huber