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Eigentlich wollte ich heute endlich einmal mit meiner Serie zu den Literatursystemen weitermachen und euch ein paar faszinierende Dinge zum Sturm & Drang und dem werten Herrn Goethe erzählen. Kommt auch noch, versprochen. An manchen Tagen muss es aber Real Talk sein. Heute ist so ein Tag. Ihr seid herzlich eingeladen: Eine Suche nach Selbstliebe im Spiegellabyrinth der Alltagssorgen.

Diese nicht so guten Tage…

Vielleicht ist es mein Zeh, der mich nach meiner Nagelkeilexision vorwurfsvoll anstarrt, als wäre er gerade frisch der Rocky Horror Picture Show entsprungen und mich zudem schmerzhaft daran erinnert, dass wir Menschen gerne einfach durch Kleinigkeiten aus der Bahn geworfen werden. Vielleicht ist es aber auch meine To do Liste in meinem super-ausgeklügelten Notionplanungssystem, die mindestens genauso vorwurfsvoll auf dem Bildschirm flimmert und mich daran erinnert, dass ich mal wieder in allem hinterher bin. Eventuell ist es auch schon der Endjahresblues, der mir zuflüstert, dass das Jahr mit seinen 365 Tagen mal wieder zu kurz war. Oder die grauen Haaren, die so schön in Lametta-Weihnachtsstimmung auf meinem Kopf glitzern und mich darauf aufmerksam machen, dass wir langsam auf die 40 zugehen. Irgendwas liegt auf jeden Fall im Argen. Mein Spiegelbild, mein Alltag und ich – wir können uns gerade nicht leiden.

Bild: Masha Raymers (Pexels)

Ich erzähle euch ja gerne davon, wie man sich für seine Träume einsetzt und dass man an sich glauben muss. Sicherlich habe ich das ein oder andere mal auch erwähnt, wie wichtig es ist, einen Plan zu haben. Sich zu organisieren. Und dann durchzumarschieren. Ohne Blick nach links und rechts. Zumindest nicht zu den Menschen, die an euch zweifeln oder euch scheitern sehen wollen. Meine Worte. Meine Predigt. Aber was, wenn man mal selbst einfach den Mut verliert? Oder überfordert ist? Es ist leicht, sich hinzustellen und sich von einem Selfie zum nächsten zu schummeln. Mit Filter. Und viel Glitzer. Und positive mindset. Ich mein – wer will schon von unperfekten Zehennägeln erzählen oder sie auch noch zeigen? Und ein hässliches, trauriges Entlein im Innern? Ja nein, das verkauft sich ganz schlecht. Nicht, dass ich euch damit was Neues erzähle, aber nur mal so zur Erinnerung kanns nicht schaden.

Dabei bekomme ich immer wahnsinnig positives und motivierendes Feedback, sobald ich mich mit Menschen unterhalte. Und ich bin sehr dankbar dafür. Wer ist nicht gerne Inspiration für andere? Trotzdem. Aussagen wie “Du bist so mutig”, “Es ist so toll, wie du deinen Weg gehst” oder “Das ist so beeindruckend, wie du einfach dein Ding machst, ich würde mich das nicht trauen”, blenden genau diese Tage aus, von denen ich heute schreibe.

Das Selfie der Wahrheit?

Wo wir gerade beim Thema Filter sind: Ich bin wohl etwas von Gestern, aber ich habe erst diese Woche begriffen, dass es einen Unterschied gibt zwischen meinem Spiegelbild und dem, wie andere Menschen mich sehen. Auf TikTok (und Instagram) kursiert schon einige Jahre ein Filter, der diesen Effekt umkehrt. Der inverted filter ermöglicht uns also, uns mit den Augen der anderen zu sehen. Und das obwohl wir gerade im Seminar zu dem Roman Hundert Augen von Samanta Schweblin darüber gesprochen haben, dass diese Diskrepanz zwischen “Wie sehe ich mich?” und “Wie sehen andere mich?” nicht wirklich aufgehoben werden kann. Nun. Instagram machts möglich.

Bild: Mariana Motrazi (Pexels)

Zuerst habe ich beim Durchklicken ein, zwei Videos von Mädels entdeckt, die den Filter sozusagen just in the moment getestet haben. Der Zuschauer ist live dabei, wie die Mädchen sich zum ersten Mal “wirklich” sehen. Zumindest scheinen sie das so zu empfinden. Die eine wirft gleich das ganze Handy aus der Hand, die andere bricht in Tränen aus. Eine Weitere schreibt in den Kommentaren unter dem Video, dass sie sich selbst hasse, seitdem sie den Filter ausprobiert hat. Wo sind wir da gelandet? Die Frage ist ja auch, denke ich, ob sie sich hässlich finden, weil sie wirklich “hässlicher” sind, als sie dachten, oder, weil sie es einfach anders gewohnt sind.

Das war vorerst ein beruhigender Gedanke. Schnell also wagemutig selbst den Filter ausprobiert und zu zwei Erkenntnissen gelangt. Erstens: Ich mag es auch nicht. Zweitens: Mein Smartphone spiegelt das Selfie automatisch. Ich poste also schon seit einiger Zeit mein “wahres Ich”. Und dabei habe ich mich noch gewundert, warum zur Hölle ich in der Kamera immer gut aussehe, sobald ich aber das Bild gemacht habe, es nicht mehr dem entspricht, was ich erwartet habe. Tja, da bekommt die Aussage “Erkenne dich selbst” nochmal eine ganz andere Dimension.

Spiegelvielfalt. Lebensentwürfe.

Aber so ist das ja generell mit Spiegeln. Da marschier ich an solchen Tagen wie heute gerne schnurstracks vorbei. Aktuell noch dazu humpelnd. An dem im Kleiderschrank integrierten Ganzkörperspiegel zum Beispiel, an dem ich auf meinem Weg vom Wohnzimmer zum Schlafzimmer vorbei muss. Und die hell erleuchteten Spiegel in den Umkleidekabinen in der Passauer Fuzo sind sowieso der Feind schlechthin. Aber ach, stimmt ja, shoppen geh ich eh nicht mehr, weil ich mich in Hosen und normalen Klamotten unwohl fühle. Nicht mein Stil. Und mein Körper passt da auch nicht so recht rein. Und dann gibts da noch den Spiegel morgens im Bad. Der verschont mich zwar mit Hüftspeck und Pomuskeldefiziten – aber diese asymmetrischen Augenbrauen…

Guten Morgen. Wir lächeln uns momentan selten an, dieses Morgengesicht und ich. Dabei schwört meine Personal-Development-Ikone Mel Robbins auf Frühmorgen-Selbstliebe. Sie weiß nämlich, dass wir uns gerne schon vom ersten Moment des Tages an selbst beschimpfen oder ignorieren. Ganz nebenbei, während wir unsere Zähne putzen.

Bild: Cottonbro Studio (Pexels)

Neben der optischen Erscheinung gibts dann auch noch das Berufs- und Alltagsleben, das wir gerne hübsch haben wollen. Wenn nicht – wie manche Eltern – für die Nachbarn, dann zumindest für uns selbst. So gehts mir zumindest. Für mich gehört dazu eine feste Morgenroutine und regelmäßiges Lesen – was mir selbstverständlich zu einem sehr, sehr klugen Köpfchen verhilft. Außerdem will ich eine Autorengruppe gründen, mit der ich erfolgreich das Passauer Kulturleben aufmischen kann; euch mit zweiwöchigen Blogposts bei Laune halten; und zudem an meinem zweiten Gedichtband arbeiten. Zusätzlich gibts da immer noch den stillgelegten YouTube-Kanal, der genutzt werden will und im Hinterkopf meine Traumfigur, die auf mich wartet. Dazu noch meinen Halbtagsjob im Hotel und mein Studium. Und Freunde. Freunde habe ich auch noch. Aber die alten fühlen sich dank allem hier gerne mal ein bisschen vernachlässigt und neue finden fällt mir grundsätzlich schwer.

Dass ich eher introvertiert bin und mich gerne mal zurückziehe, ist dabei keine große Hilfe. Ich brauche halt nicht zwingend Jemanden, mit dem ich vor jeder Vorlesung über die neuesten Dinge tuscheln kann. Aber schön wärs manchmal trotzdem. Und die andern machen das schließlich auch. So bin ich dann wieder ein bisschen neidisch und fühle mich verkehrt. Wie man’s macht… nicht wahr?

Es muss ja nicht gleich Selbstvergötterung sein…

Bild: Igra (Pexels)

Nun, was kann ich euch heute nach so einem Blog also mitgeben? Gute Frage. Vielleicht dass, auch wenn es abgedroschen klingt, Selbstakzeptanz ein erster Schritt ist. Es muss ja nicht die Liebe des Jahrhunderts sein, wenn wir uns im Spiegel ansehen. Vor Allem nicht 24/7. Im Grunde bin ich stolz auf das, was ich geschafft habe. Ich fühle mich im Großen und Ganzen wohl in meinem Körper. Und ich bin dankbar, dass er mir das Leben ermöglicht, das ich führe. Ich freue mich über die Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Und die vielen schönen Dinge, die ich lernen darf.

Ganz besonders aber freue ich mich über die wunderbaren Momente mit den Menschen, die mir wichtig sind. Das ist doch eine ganze Menge, für die es sich lohnt, mein Spiegelbild anzulächeln. Und dazwischen braucht es ein bisschen Geduld und Erholung. Findet mein Zeh auch. Aber bald…bald starten wir wieder durch. Und natürlich werde ich euch dann auch davon wieder erzählen.


Wenn ihr wissen wollt, was ich zuletzt fürs schlaue Köpfchen gelesen habe: Bram Stokers Dracula. Frauenkonzeption oder die Epoche der Romantik

Mehr über mein Studium gibts hier: SpuTe – eine Alternative zur Germanistik?

Und hier noch ein bisschen was zu mir und meinem Schreiben: Lyrik über Land. Schreibworkshop & Festival

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Natascha Huber