Abbildung der Autorin mit sichtbaren Tattoos.
Lesedauer 4 Minuten

Part 1: Über Anfänge und Umwege.

Eigentlich wollte ich euch heute von einer ganz besonderen Frau erzählen. Oder sogar von mehreren besonderen Frauen – und jetzt schreibe ich über mich. Nun, irgendwie sind sie trotzdem ein Stück weit Teil dieses Blogs, denn ohne einige dieser Frauen gäbe es diese Geschichte nicht zu erzählen. Neben kleinen, persönlichen Märchengeschichten geht es am Ende aber auch immer um Fakten: Wie ist es, so spät zu studieren? Wie kommt man mit dem Lernstoff und dem Lernprozess an sich zurecht? Wie fühlt man sich umgeben von Menschen, die alle mindestens 10 Jahre jünger sind? Und überhaupt, was macht das Geld und das Leben? Hier und im nächsten Blog eine kleine Zwischenbilanz für die, die auch überlegen oder nur neugierig sind.

Immer diese Herkunft. Immer diese Noten.

Gerne hätte ich schon mit 16 die Tür zu meiner Realschule hinter mir zugeknallt und wäre in Richtung Germanistikstudium marschiert. Leider kannte ich den Weg nicht. Meine Eltern ebenso wenig. Die fanden diese “Studierten” sowieso schon immer komisch. Und Germanistik? Was sollte man denn damit später anfangen? Das war kein Brotjob. Und sowas hatte man nun mal, hier, in unserem kleinen Dorf in Niederbayern.

Auch meine Noten sprachen keine akademische Sprache. Ich hatte den Abschluss gerade so geschafft. Statt Germanistik folgte also eine solide Ausbildung zur Hotelfachfrau. Danach diverse Kellnerjobs. Dann die zwischenzeitliche unsolide Erleuchtung: Ich möchte in einem Tattoostudio arbeiten. Also packte ich mit 23 meine Koffer, um in die große weite Welt zu ziehen. Gelandet bin ich in einer kleinen Stadt in der Nähe von Mannheim. Neun Jahre zwischen Kulturschock, Heimweh, Selbstfindung und unvergänglichen Freundschaften. Und mittendrin habe ich sie wiederentdeckt: Die Liebe zur Sprache.

Träume warten… nicht ewig.

Aber mit 26 noch studieren? Völlig unmöglich, dachte ich. Und wartete weitere sechs Jahre. In der Zwischenzeit hatte ich sehr viele Gedichte geschrieben, mein erstes Buch veröffentlicht, stand als Moderatorin auf der Bühne, war für den Leonce und Lena-Preis nominiert und hatte frisch ein Aufenthaltsstipendium vom Kultusministerium erhalten. Aber studieren? Völlig unmöglich.

 

Erst als ich im Rahmen des Stipendiums mit vier großartigen Schriftsteller*innen zwei Wochen auf Lesetournee durch Frankreich, Belgien und Luxemburg war, dämmerte es mir langsam: Es ist mir egal, ob es “unmöglich” ist. Ich rief also noch aus Luxemburg meine Eltern an und verkündete die Neuigkeit: Ich würde studieren. Drei Monate später packte ich erneut meine Koffer. Zurück aus der weiten Welt in das idyllische, bayrische Dorf. Zwei Wochen darauf startete ich in Richtung Abitur.

 

Erkenntnis 1: Nichts überstürzen

Da ich über eine Ausbildung plus mehr als 5 Jahre Berufserfahrung verfügte und somit automatisch “Fachabitur-Status” hatte, hätte ich an der Beruflichen Oberschule gleich in der 13. Jahrgangsstufe einsteigen und meine Allgemeine Hochschulreife innerhalb eines Schuljahres abschließen können. Ich habe mich dennoch dazu entschieden, in der 12. Klasse zu beginnen und es war die richtige Entscheidung. Nach 16 Jahren ohne Schulunterricht war der Einstieg nicht einfach. Ich hatte somit das erste Jahr, um mich etwas zu akklimatisieren und verschiedene Lernstrategien auszuprobieren. Und ich durfte einen deutlichen Vorteil zu meiner Schulzeit kennenlernen: Heute gibt es YouTube-Videos zu allem. Auch zu so hässlichen Dingen wie Mathe und Rechnungswesen. Was für ein Luxus. Vielleicht hätte ich damit auch schon 2002 zumindest im Ansatz etwas davon verstanden. Notenretter Nr. 1: Mathe by Daniel Jung – YouTube, Notenretter Nr. 2: ott casts – YouTube. Bis zum Allgemeinen Abitur hatte ich jedenfalls ein System für mich entwickelt und konnte glücklich mit einem 1,9 Abiturschnitt das nächste Etappenziel anpeilen: Einen Bachelorabschluss in Sprach- und Textwissenschaften mit Schwerpunkt Deutsche Literaturwissenschaft.

Erkenntnis 2: Du bist nicht allein

Auch wenn mein Start ins Studium aufgrund von Covid 19 wohl ein bisschen anders gelaufen ist als üblich, habe ich schnell festgestellt: Egal ob 20 oder 34, im ersten Semester kennt sich keiner aus. Es ist also völlig in Ordnung, sich ein bisschen verloren oder fehl am Platz zu fühlen. Es liegt nicht zwingend am Alter oder dem nichtakademischen Hintergrund. Außerdem vereint der Wunsch nach Anschluss. Den sucht ebenfalls Jeder, egal woher er kommt. Unter solchen Umständen ergeben sich leicht Kontakte und ich kann euch versichern, selbst über Zoom können sich Freundschaften entwickeln, die man dann im echten Leben ausbaut.

Erkenntnis 3: Mehr als Gute-Nacht-Geschichten

Ein paar einschüchternde Unterschiede gibt es dennoch. Meine Erfahrung – auch aus dem Gespräch mit anderen “Arbeiterkindern” – zeigt, dass Studierende aus einem Akademikerhaushalt in kulturellen, künstlerischen oder politischen Themen oft einigen Vorsprung haben. Meine Eltern zum Beispiel sind breitgefächert interessiert und sehr pragmatisch – Oper, Literatur, Philosophie und Ähnliches spielten bei uns Zuhause jedoch nie eine Rolle.

Manchmal bin ich deswegen ein bisschen neidisch auf die kleinen Kinder, die von ihren Eltern in die Oper geschleift oder am Klavier im Wohnzimmer gedrillt werden. Auch wenn ich mir sicher bin, dass sie selbst es doof finden. In meiner Kindheit gab es stattdessen Akkordeon und Heimatverein. Das war sicherlich auch eine Erfahrung fürs Leben – aber nicht sonderlich hilfreich für ein Studium. Was meine Berührungspunkte mit Literatur betrifft, beschränkten die sich ebenfalls auf das Gängigste. Da gab es Disneymärchen und einfache Kinderbücher. Das hätte man sicher ausweiten können. Dafür habe ich aber Feivel, den Mauswanderer, kennengelernt. Selbst mit 35 sehe ich ihn noch deutlich vor mir: Den kleinen, heimlichen Helden meiner Kindheit. So Einen sollte jedes Kind haben. Kultur hin oder her.

 

 

In Part 2 erzähle ich euch nächste Woche über meine Erfahrungen rund um Finanzen, Anpassungsfähigkeit, Lernstrategien und Lieblingsfächer. Und wenn ihr Fragen oder Kommentare habt – immer her damit. Unten über das Kontaktformular könnt ihr mich jederzeit erreichen. Ich freue mich.

(Photo by the amazing ela-photography.de)

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Natascha Huber