Lesedauer 3 Minuten

Das liebe Studentenleben und meine Hassliebe zur englischen Sprache… Beides hat im letzten Semester eine Art wundervolle Symbiose erreicht: Mit der Pflichtlektüre von Robert Macfarlanes Underland, das so viel mehr ist als ein Sachbuch. Oder ein englisches Buch. Oder ein Buch für den Unterricht. Warum? Verrat ich euch in dieser Rezension.

Ab in die Unterwelt

Menschen haben das Unterland über Jahrhunderte hinweg genau für drei Dinge benutzt:

  1. Um Dinge zu entsorgen, die schädlich sind.
  2. Um Wertvolles daraus zu bergen.
  3. Um zu schützen, was ihnen kostbar und teuer ist.

Sie haben Müll verschwinden lassen, Schätze für die Zukunft gesichert oder ihren Liebsten eine letzte Ruhestätte gewährt. Was dabei aber von allen Menschen nicht bedacht wurde, so der Autor, sei das aktuelle Phänomen des surfacing. Mit der sich verändernden Welt dringen die Dinge, die wir einst sicher unter der Erde verwahrt haben, zurück an die Oberfläche.

12 Jahre hat Macfarlane an diesem Wunderwerk über Natur, Wissenschaft und Menschheitsgeschichte geschrieben. Von den Unsichtbaren Städten in Paris, wo er sich durch erdrückende Tunnel robbt, über Das hohle Land Sloveniens, dessen löchriges Salzgestein erschreckende Kriegsgeheimnisse birgt, bishin zu den sich umarmenden Bäumen des Londoner Epping Forest in Das Unterholz – Macfarlane nimmt den Leser mit in die entlegensten, lichtfernsten und tiefsten Winkel unseres Planeten. Immer dabei die Frage des Wissenschaftlers Dr. Jonas Salk: „Sind wir gute Vorfahren?“.

Splitter, Netze und andere Spuren

So folgen wir Macfarlane in Dark Matter 3000 Meter unter die Erde in ein Labor, in dem Wissenschaftler versuchen den Partikelwind der Sternenkonstellation Cygnus einzufangen. Sie wollen damit nachweisen, dass die Schwarze Materie, die 95 % unseres Universums ausmacht, wirklich existiert. Die Schwierigkeit dabei: Die Partikel, aus denen sie besteht, sind in erster Linie Ghostparticle (WIMP) – diese Partikel durchbrechen jede Oberfläche ohne eine Spur zu hinterlassen. Selbst die Erdoberfläche. Oder unsere Körper. Und trotz all dieser scheinbaren Porosität, können wir uns auf der Erdoberfläche bewegen und die Hand der Person halten, die wir lieben, wie einer der Wissenschaftler Macfarlane abschließend begeistert berichtet.

In The Understorey lernen wir dann Merlin Sheldrake kennen, einen jungen Biologen, der sich der Erforschung von Pilzen und des Wood Wide Web verschrieben hat. Das wood wide web ist ein unendlich weit gespanntes Versorgungssystem unter der Erde, das über große Flächen Pflanzen verbindet. Es sorgt dafür, dass Nährstoffe von einer Pflanze zur nächsten versendet werden können. Außerdem können über das wood wide web Signale von einer Pflanze zur nächsten gesendet werden. Sollte eine der Pflanzen angegriffen werden, kann sie die benachbarten Pflanzen warnen, ihre Abwehrmechanismen hochzufahren und sich so gegen die Gefahr zu wappnen. Klingt ziemlich beeindruckend? Und menschlich? Allerdings.

Kein Wunder also, dass manche Völker die Umwelt anders wahrnehmen als wir in der westlichen Welt. So besteht zum Beispiel die Sprache der Potawatomi, denen die Wissenschaftlerin Robin Wall Kimmerer angehört, zu 70 Prozent aus Verben. Nomen gibt es in dieser Sprache hingegen kaum. Kimmerer und ihr Volk gehen nämlich von einer „Beseeltheit“ aller Dinge aus. So heißt eine Küste hier auch „to be a bay“ (also „eine Küste sein“) und wird nur „Küste“ genannt, wenn das Wasser tot ist.

Unsere Welt im Kaleidoskop

Diese und Unmengen weiterer solcher wunderbaren Details machen das Buch zu einer absoluten Schatzkammer, über die ich noch seitenweise schreiben könnte. Für mich ist das Beeindruckendste an dem Buch die unangestrengte Mischung aus Naturbetrachtung, Reflexion über Sinn und Wirken des Menschen und die stetige Rückbindung an Sprache/Etymologie/Kommunikation. Nicht zuletzt erkennt man an Macfarlanes Schreiben, dass er Lyriker ist, Sprache und Sprechen liebt. So sagt er über unser Zeitalter auch:

We find speaking of the Anthropocene, even speaking IN the Anthropocene, difficult. It is, perhaps, best imagined as an epoch of loss – of species, of places and people – for which we are seeking a language of grief and, even harder to find, a language of hope.”

Underland, S. 364

Für mich ist dieses Buch voll davon. Dabei ist es niemals belehrend, vielmehr ein Kaleidoskop zur Betrachtung von Tragik und Magie unserer Welt – und vielleicht auch eine kleine Antwort auf die Frage, wer wir in all dem sind und sein können.   

Wenn ihr das Wunderwerk nun gerne lesen oder mehr über den Autor erfahren möchtet, werdet ihr hier fündig:

Underland von Robert Macfarlane – Taschenbuch – 978-0-393-35809-4 | Thalia

Im Unterland von Robert Macfarlane – Buch | Thalia

Robert Macfarlane (@robgmacfarlane) • Instagram-Fotos und -Videos

Hinweis: unbezahlte Werbung / unbezahlte Verlinkung

Natascha Huber