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Literatur ist Geschmacksache. Autor:innen haben ein empfindliches Ego. Und außerdem soll man sich nicht mit anderen vergleichen. Hört man gern solche Sachen. Wie gut, dass das Wochenende rund um den Literaturpreis Irseer Pegasus das Gegenteil beweisen kann. Hier mein Bericht zu einem kreativen, austauschreichen Wochenende und meinem ganz persönlichen Flashback.

Der Literaturpreis

Eigentlich ist er ein alter Bekannter, dieser Irseer Pegasus. Auch 2018 durfte ich mich schon über eine Nominierung freuen, im Januar 2023 sollte nun mein zweiter Besuch in den Mauern des Kloster Irsee stattfinden. Über die Nominierung habe ich mich tatsächlich ganz besonders gefreut. Nachdem ich lange Zeit keine Texte für Literaturpreise eingereicht hatte, führte mich die erste Einsendung nach meiner Schreibpause also zurück nach Irsee. Ein kleines Trauma hatte 2018 allerdings der Motorschaden mitten auf der Autobahn hinterlassen, wegen dem ich erst nach einer halben Odyssee wieder Zuhause angekommen bin. Aber was solls, es ging schließlich um Literatur. Also habe ich freudig meine Koffer gepackt, meinen neuen Gedichtzyklus “Jede Übersetzungsleistung ist ein Akt linearer Zärtlichkeit” ganz oben aufgelegt und mich am 6. Januar wieder auf den Weg ins Schwäbische gemacht.

Kloster Irsee: Ein Ort mit Geschichte

Schon bei der Einfahrt zum Parkplatz hatte ich ein bisschen das Gefühl von Nachhause kommen. Auch nach dem Check in auf dem Weg zum Zimmer – vertrautes Staunen über die hohen Decken und die majestätischen Schnörkel. Das Herzstück ist jedoch das Treppenhaus. Es ist nur schwer festzulegen, ob die Deckenmalerei, das rose-marmorierte Geländer und die breiten Holzstufen in den dunklen Morgenstunden oder am helllichten Tag am magischsten sind. Man müsste ganz lange stehen bleiben, den Kopf in den Nacken werfen und sich immer wieder im Kreis drehen…

Das Treppenhaus des Klosters (Bild: ich)

Das eher dunkle Herz des Klosters sieht man dagegen auf den ersten Blick kaum noch. Wie man bei einer Führung mit Dr. Sylvia Heudecker erfährt, hat das Haus eine weit zurückreichende Geschichte. Von 1849 bis 1972 wurde Irsee als Irrenanstalt bzw. Heil- und Pflegeanstalt genutzt, in der leider auch der Nationalsozialismus seine Spuren hinterlassen hat. Als Aufarbeitung findet man rund um das Kloster zahlreiche Gedenkstätten, es werden Führungen und Publikationen angeboten und das Andenken an die Patienten dieser Zeit gewahrt. In den 1980er Jahren wurde Irsee dann als Tagungs- , Bildungs- und Kultureinrichtung wiedereröffnet. Heute finden hier die Schwabenakademie und das Bildungswerk des Bayrischen Bezirkstags ihre Heimat und jedes Jahr öffnen sich die Türen für den Kultursommer – und den Wettbewerb um den Irseer Pegasus. (Quelle: Geschichte – Kloster Irsee (kloster-irsee.de))

Der Autor:innen-Workshop

Den Wettbewerb begleitet ein Workshop, bei dem alle nominierten Autor:innen ihre Texte vortragen und gemeinsam mit der Jury darüber diskutieren. Ein bisschen ein verrücktes Gefühl ist das schon. Die Aufregung, der Austausch, das Miteinander. Auch die Tatsache, dass ich gerade dieses Semester ein Seminar in Linguistik belegt hatte, bei dem wir Patientenbriefe aus der Zeit von 1880 bis 1915 aus eben dieser ehemaligen Anstalt transkribieren und erforschen. Und dann habe ich bei der Losung der Wettbewerbsreihenfolge auch noch das einzige Los gezogen, dass ich nicht wollte. Das Los mit der Nummer 1. Aber vielleicht war es einfach Schicksal.

Die wunderbare Jury: Markus Orths, Dr. Sylvia Heudecker, Dr. Thomas Kraft (Bild: Patricia Malcher)

Jede:r der Autor:innen hatte ein Zeitfenster von 15 Minuten, danach sollte ca. 20 Minuten für die Diskussion eingeräumt werden. Bei Anmoderation und Diskussionsleitung wechselten sich die Juroren ab. Ich hatte Markus Orths an meiner Seite, der mich kurz ankündigte, dann durfte ich meinen Gedichtzyklus lesen. Was soll ich sagen – es war der perfekte Rahmen, diesen neuen, noch ganz unschuldigen Text das erste Mal mit anderen Menschen zu teilen. Die Reaktionen und Diskussionsbeiträge haben mich sehr berührt. Sie waren offen, wertschätzend, konstruktiv, und ich habe mich verstanden gefühlt.

Die Location des Autorenworkshops (Bild: Patricia Malcher)

Miteinander statt Gegeneinander

Obwohl wir alle sehr unterschiedlich waren, dürfte das auch das sein, was wir alle aus diesem Wochenende mitgenommen haben: Dass unser Schreiben in einem sicheren Raum war. Dem ein oder anderen hätte vielleicht ein etwas kritischerer Tonfall mehr zugesagt, ich fand es aber großartig. Zusammen mit mir traten Sarah Kuratle, Patricia Malcher, Simon Bethge, Katharina Korbach, Julia Willmann, Lisa-Viktoria Neiderberger, Siegfried Straßer, Nathalie Buchholz, Marion Vera Foster, Tobias Pagel und Sophia Merwald um den Irseer Pegasus an. Bei so vielen Lesungen war ein strammes Programm angesagt, aber es blieb immer noch genügend Freiraum, um Nachmittags mal einen Spaziergang zu machen oder abends nach dem Abendessen noch im Kaminzimmer des Ritterstübchens zusammenzusitzen.

Diese Gespräche waren auch eines der Highlights des ganzen Wochenendes. Schreibende Menschen, spannende Lebensgeschichten und ein Glas Aperol. An dieser Stelle sei auch kurz das sehr leckere Angebot des Frühstücks-, Mittags- und Abendbuffets erwähnt. Man hat uns definitiv verwöhnt und wir haben ausgiebig geschlemmt.

Zwischendurch Luftholen im Klostergarten (Bild: ich)

And the winner is…

Tja, leider auch dieses Jahr nicht ich, aber selbst, wenn bestimmt jede:r gerne mit der Auszeichnung heimgekehrt wäre, herrschte über die Preisträgerinnen große Freude. Es gibt nämlich zwei Besonderheiten des Wettbewerbs, die auch von Sylvia Heudecker mehrfach hervorgehoben worden sind:

  1. dass Jede:r von uns schon allein dadurch ausgezeichnet ist, dass er/sie für den Wettbewerb ausgewählt wurde und Kost, Logis und Workshop zur Wertschätzung unserer Leistung kostenfrei sind.
  2. dass wir Autor:innen ein Mitspracherecht haben und selbst in einem anonymen Punkte-Wahlverfahren einen Preis unter uns vergeben dürfen.

Letzteres war gar nicht so einfach, da ich doch mehr als eine:n Favorit:in hatte. Am Ende war die Freude über die vergebenen Preise dennoch groß. Den Jurypreis erhielt Julia Willmann aus Berlin, in deren Erzählung “Der Splitter” ich mich sofort verliebt hatte. Julias Sprache ist genau, aber bildschön; mit einem warmherzigen, präzisen Auge für die Beziehungen und Traumata der Figuren. Der Jurypreis ging an Sophia Merwald mit ihren Auszügen aus dem Romanprojekt “Sperrgut”, die vor allem durch ihre Innovation, ihren charmanten Witz und dem Feingefühl für die junge Liebe der zwei Protagonistinnen verzauberte.

Literarische Matinee und Preisverleihung

So gabs für die beiden am Sonntag verdient zwei wunderbare Laudationen bei der öffentlichen Preisverleihung im Festsaal des Klosters. Nachdem zuerst der renommierte Autor Gert Heidenreich bei einer Matinee seinen neuen Lyrikband “Meer – Atlantischer Gesang” vorstellte und die stv. Bezirkstagspräsidentin von Schwaben, Barbara Holzmann, einige Worte an das zahlreich erschiene Publikum richtetet, bekam Julia Willmann für ihre

[…] hinreißende, kleine Geschichte von zeitloser Schönheit, die auf wenigen Seiten von den Mühen der Vergangenheitsbewältigung erzählt und von der tiefen Liebe einer Tochter zu ihrem Vater […]

Aus der Laudatio der Jury

den Jurypreis überreicht und Sophia Merwald neben dem Autorenpreis noch ein paar Worte von uns allen geschenkt, ganz im Sinne der Gemeinschaft, die das Wochenende so geprägt haben. Beide Autorinnen haben daraufhin noch einmal ihre Texte vorgetragen und der Vormittag endete mit Endorphinschub, vom Klatschen rotglühenden Händen und jeder Menge Freudentränen. Und ach, einem Mittagessen, ja, Essen nicht vergessen – das gabs dann auch noch. Als krönenden Abschluss für einen nicht zu krönenden literarischen Endpunkt des Wochenendes.

Preisübergabe an Sophie Merwald (links) u. Julia Willmann (rechts) (Bild: Patricia Malcher)

Bestimmt kein Abschied für immer

Was soll ich sagen. Mein Auto hatte diese Mal keinen Motorschaden. Ich bin heil und erfüllt Zuhause angekommen. Mit Begegnungen und Ideen bereichert. Ein Resümee, das man ja gern in die Pathoskiste schiebt. Aber da gehört es nicht hin. Ich wünsche mir, dass alle von uns nach diesem Wochenende begeistert an ihren Texten weiterarbeiten und vieles für ihr Schreiben an sich mitnehmen konnten.

Nach dem Wettbewerb ist vor dem nächsten Wettbewerb (Bild: ich)

Für mich bewahre ich in meiner Glücks-Schublade die lieben Worte meiner zwei Favoritinnen auf und die mut-machenden Worte der Juroren, insbesondere die aus dem Gespräch mit Sylvia Heudecker.

Ich weiß noch nicht, wie, aber es scheint, als müssten wir einen neuen Gedichtband schreiben, ich und mein liebes, neuerdings bilinguales, lyrisches Ich. Na dann.

Vorerst gilt es aber erst mal das neueste Abenteuer zu genießen: Mein Praktikum im Robert-Musil-Institut/Kärntner Literaturarchiv in Klagenfurt. Eine weitere Schlaraffenland-Station auf meinem Weg durchs Studium. Und ich werde euch natürlich davon berichten. Bald.


Mein Dank geht an Patricia Malcher für die Zusendung der Bilder und die Genehmigung sie für den Artikel zu verwenden.

Hier gibts eine Übersicht der Finalisten des Irseer Pegasus 2023: Ausgezeichnete – Irseer Pegasus (irseer-pegasus.de)

Mein letztes Schriftstellerabenteuer: Lyrik über Land: Schreibworkshop & Festival – Natascha Huber (natascha-huber.de)

Und hier gibts mehr Infos zu meinem Studium: SpuTe – eine Alternative zur Germanistik? – Natascha Huber (natascha-huber.de)

Und wenns ganz was anderes sein soll, hier ein Vorschlag: Austherapiert. Zeit, die Welt zu erobern? – Natascha Huber (natascha-huber.de)

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Natascha Huber