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Gut Ding will Weile haben: Fünf Jahre nachdem ich beschlossen hatte, dass ich mein studienbegleitendes Praktikum im Robert-Musil-Institut für Literaturforschung machen möchte, war es dieses Jahr endlich soweit. Mitte Februar bis Mitte April habe ich im Rahmen eines Erasmus+ Stipendiums in Klagenfurt verbracht. Im heutigen Blog erzähle ich euch von meinem Fehlstart, euphorischen Nachlass-Abenteuern und den Stadthighlights für Kultur- und Buchnerds.

Eine lange (Liebes)geschichte: Christine Lavant und das Robert-Musil-Institut

Seit ich in einem Sammelband ein Gedicht von Christine Lavant gelesen habe, habe ich eine Schwäche für alles, was mit der eigensinnigen Kärntner Schriftstellerin zu tun hat. Ihre schillernde, bestimmte Art und ihre besondere Sprache begleiten mich seit vielen Jahren. Gefühlt genau so lange besteht der Kontakt zum Robert-Musil-Institut. Nachdem sie mir aufgrund ihrer Arbeit zu Christines Werken aufgefallen waren, war es eine logische Konsequenz mich eines Tages an sie zu wenden. Ich weiß nicht mehr, mit welchem Anliegen ich damals den Kontakt knüpfte. Fakt ist, dass der Kontakt seitdem nie mehr abgebrochen ist. Somit war die nächste logische Konsequenz auch, dass ich während meines Studiums dort mein Praktikum machen möchte.

Eingang Musilhaus (Bild: Edith Bernhofer)

Neben Christine Lavant kümmert man sich dort natürlich auch um andere Autor:innen. Das Robert-Musil-Institut für Literaturforschung / Kärntner Literaturarchiv wurde, drei Jahre nach seiner Gründung, 1997 im Robert-Musil-Haus in der Bahnhofstraße Klagenfurt eröffnet. Wenn man aus dem Bahnhof rausspaziert erblickt man also erst mal die Außenfassade des Gebäudes mit den wunderbaren Graffiti Portraits von Christine Lavant, Ingeborg Bachmann und Robert Musil. Während im Erdgeschoß das Musil-Literaturmuseum ihre Besucher mit Ausstellungen zu den Schriftsteller:innen und einer Literaturlounge empfängt, befinden sich Institut und Archiv im ersten Stock von Musils Geburtshaus.

Auf ins Abenteuer – und dann: Covid.

Nach sorgfältiger Planung und Absprache mit der Uni Passau und meinem Arbeitsplatz startete ich aufgeregt – aber kränkelnd – am 10. Februar nach Klagenfurt. Dort angekommen hab ich es nur noch geschafft die Koffer in mein Zimmer des Studentenwohnheims zu schleppen und mich kurz über mein hübsches Zimmer zu freuen. Danach war ich erst mal für gut eine Woche ausgenockt. Nach drei Jahren hatte es mich also doch noch erwischt und ich hab mich durch ziemlich unangenehme Tage und Nächte gequält. Gott sei Dank war das Team rund um das Institut super lieb. Sie haben Alles organisatorisch für mich geregelt und mich mit Medizin und Lebensmittel versorgt.

Vorderseite des Studentenwohnheim Concordia (Bild: ich)

Mein Zimmer im Studentenheim war jedenfalls ein kleines Highlight. Nachdem ich erst einmal Schwierigkeiten hatte Eines für den geplanten Zeitraum zu finden, hat sich damit doch noch eine super Unterkunft gefunden. Wenn ihr auf der Suche nach einem Zimmer für euer Praktikum seid, kann ich euch nur raten, euch frühzeitig auf die Wartelisten der Wohnheime setzen zu lassen. Nebenbei ist es hilfreich die Universität der Stadt zu kontaktieren. Ich habe über die Uni Klagenfurt und deren Fachschaft weitere Anlaufstellen erhalten und auch einen Link zum Schwarzen Brett der Uni, welches ich so regelmäßig nach Wohnungsausschreibungen checken konnte. Am Ende habe ich, wie gesagt, im Concordia ein Einzelzimmer beziehen können. Die Kosten der Zimmer variieren logischerweise. In meinem Fall habe ich knapp 400 Euro pro Monat mit Parkplatz bezahlt, was völlig legitim war. Und die Aussicht – die war schlichtweg unbezahlbar. Aber seht selbst.

Abendliche Aussicht direkt von meinem Schreibtisch. (Bild: ich)

Traumstart dank toller Kolleg:innen und Spezialaufgaben

Am 20. Februar war es dann endlich soweit und ich konnte mein Praktikum in Präsenz starten. Nachdem der Praktikumszeitraum für die Wohnungssuche eher suboptimal war, war er für meine anstehenden Aufgaben dafür umso besser. Da sich in diesem Jahr nicht nur Ingeborg Bachmanns sondern auch Christine Lavants Todestag zum 50. Mal jährt, besteht vermehrtes Interesse an meiner Lieblingsautorin. So stand schon für die erste Woche der Besuch von Mitarbeitern des ORFs an, die sich Privatgegenstände und einen Teil der Nachlassbibliothek von Christine für den Dreh einer Dokumentation ausleihen wollten.

Mit ihren persönlichen Büchern und Gegenständen in der Hand war ich irgendwas zwischen endorphin-geladen und glucken-emotional – spätestens als ich den Georg Trakl Preis in der Hand hatte, den die Autorin 1954 zusammen mit Christine Busta, Michael Guttenbrunner und Wilhelm Szabo erhielt. Am liebsten hätte ich Alles behalten. Und später meine Wohnung damit gepflastert. Oder einen Schrein gebaut. Oder irgendwas in der Art. Natürlich geht das mit Fremdeigentum und Archivmaterial nicht und so habe ich die Sachen artig für den Leihvertrag dokumentiert, sie in Zeitungspapier gewickelt und das Team vom ORF von dannen ziehen lassen. Das Ergebnis wird jedenfalls am 5. Juni im ORF und auf 3sat zu sehen sein und ich bin wahnsinnig gespannt darauf.

Nur ein kleiner Teil der Nachlassbibliothek von Christine Lavant (Bild: ich)

Besonders im Kopf wird mir die Vielseitigkeit von Christines Büchern bleiben. Von unterschiedlichster Lyrik über religiöse Bücher, Bauernkalendern bis hin zu mythischen Werken war alles in ihrer kleinen Nachlassbibliothek zu finden. Passend dazu ein exzentrisches Leder-Zigarettenetui, Teetassen mit Rosenmuster und ein Kimono. Abschließend durfte ich dann auch noch ein ausführliches Verzeichnis der Bücher anlegen.

Ein streitbarer Charakter und noch mehr Lyrik

Dass Schriftsteller:innen nicht immer die einfachsten Zeitgenossen sind zeigt nicht nur das Beispiel von Christine. Vielleicht braucht Kunst schlichtweg Ecken, Kanten und Eigensinn. Auch Bernhard C. Bünker, ein regionaler Schriftsteller, der vor allem in den 70er und 80er Jahren präsent war, hatte so seine Besonderheiten. Bekannt für seine Lyrik, die der etwas staubig anmutenden Dialektdichtung eine neue, gesellschaftskritische Richtung gab, hat er allgemein kein Blatt vor den Mund genommen. Der Künstler als unbequeme, politisch engagierte Instanz – das schien seine Devise. Dass er sich damit nicht immer nur Freunde gemacht hat, davon zeugen seine Briefe. Stapelweise habe ich diese zusammen mit den Kolleg:innen durchwühlt. Sortiert, kategorisiert, katalogisiert.

Sichtung der Briefe von B.C. Bünker (Bild: ich)

Generell gilt: Um einen Bestand zu erschließen und dann archivieren zu können, muss sämtliches Material gesichtet und dann in ein Ordnungssystem gebracht werden, das dem offiziellen Regelwerk RNAB entspricht. Grundlegend unterteilt man den Nachlass eines sogenannten Bestandsbildners in Werke, Briefe, Dokumente und Sammelstücke.

Diese werden wiederum in Unterkategorien unterteilt und dann mit einer Signatur versehen, über die man am Ende im Archiv Alles exakt wiederfinden kann. Daher wurde ich auch von Herrn Elmar Lenhart, Leiter des Archivs, als Erstes damit vertraut, die Lyrikmanuskripte zu sichten und mir ein brauchbares System für die Archivierung zu überlegen. So gibt es nun zu den gut 500 Gedichten Incipit-Listen und ich habe zusätzlich ein ganzheitliches, nummeriertes Verzeichnis angelegt. Letzteres habe ich um editorische Anmerkungen ergänzt, sodass für spätere Forschungen Duplikate und handschriftliche Änderungen des Autors schneller ersichtlich sind. Zu unser aller Freude konnte am Ende meines Praktikums alles fertig aufbereitet in Archivkisten verstaut werden.

Mehr als Wasserglas-Lesungen: Das Literaturprogramm

Sowohl im Veranstaltungsraum des Robert-Musil-Instituts als auch im Museum im Erdgeschoß finden regelmäßig kulturelle Events rund um Literatur und Musik statt. Auch wenn ich mit dem Jahresanfang einen ruhigeren Zeitraum erwischt habe, gab es viel zu lernen und zu sehen. So durfte ich im zweiten Teil meines Praktikums in den Aufgabenbereich von Edith Bernhofer reinschnuppern, die die Veranstaltungen für das Institut organisiert. Dabei hat sie mir gezeigt, welche Schritte es benötigt ein Event von einer Idee zu einem gelungenen Abend zu entwickeln, welche Kooperationsoptionen es gibt und wie und wann Veranstaltungen beworben werden. Außerdem durfte ich das 2-Monats-Programm mitgestalten und habe Einblicke in die Präsentation des Instituts auf seinen Social Media-Kanälen und der Institutshomepage erhalten. Am 10. März war dann auch die erste Lesung während meines Praktikums angesagt.

Lan Sticker (links) und Robert Prosser (rechts) bei ihrer Performance im Institut (Bild: Edith Bernhofer)

Zusammen mit Lan Stricker an den Drums hat Robert Prosser Auszüge aus seinem aktuellem Roman Verschwinden in Lawinen performt. Irgendwo zwischen Erzähltradition, Gespräch, Rap, Konzert und Lesung haben sie das Publikum begeistert und die Füße in den Reihen zum Wippen gebracht. Mit über 50 Veranstaltungen pro Jahr ist im Institut jede Menge los. Da ich während meiner Zeit in Frankenthal als zweite Vorsitzende des Literarischen Verein der Pfalz selbst schon einige Erfahrung in diesem Bereich sammeln konnte und regelmäßig als Moderatorin oder Autorin auf der Bühne stand, hat der Austausch darüber besonders viel Spaß gemacht. Zu sehen, dass es so tolle, spartenübergreifende Projekte gibt und wie unterschiedlichste Leute in der Planung zusammenarbeiten, hat mich sehr motiviert weiter an der Umsetzung eigener Veranstaltungen hier in Passau zu arbeiten.

Das Studentenleben in Klagenfurt

Als Studentin wollte ich natürlich auch unbedingt ein bisschen den Campus erkunden. Sofort beeindruckt hat mich die Universitätsbibliothek mit ihrem modernen Stil und ihrem grandiosen 24-7-System. Alle Studierende habe 7 Tage die Woche, 24 Stunden lang auf den Buchbestand vor Ort Zugriff und können entweder dort lernen oder sich sogar Bücher über ein Automatensystem ausleihen. Für die Studierenden der Literaturwissenschaften gab es im aktuellen Semester viele spannende Vorlesungen, von denen ich am liebsten gleich mehrere besucht hätte. Aufgrund des Zeitmangels musste ich mich aber für Eine entscheiden und habe daraufhin an meinen Samstagen in einer kleinen, netten Gruppe zusammen mit Michaela Monschein, Kulturredakteurin des ORF, Literaturkritik im Wandel der Zeit betrachtet.

Ein Teil der einladenden Unibibliothek am Campus in Klagenfurt (Bild: ich)

Nach der Uni war dann Burgeressen beim Uniwirt auf dem Campus angesagt. Nachdem alle davon geschwärmt hatten, habe ich zusammen mit einer Kommilitonin einen fetten Cheeseburger mit extra Spiegelei und Pommes verdrückt. Sehr coole Location, super zentraler Standort. Aber auch den Dönerladen gegenüber kann ich nur wärmstens empfehlen, solltet ihr mal an der Klagenfurter Uni vorbeischauen.

Nach der Arbeit: Ein bisschen Kultur und Freizeit

Neben Arbeit und Uni muss natürlich auch ein bisschen Zeit zum Erkunden der Stadt sein. Ich gestehe allerdings gleich: Viel von der Stadt habe ich nicht gesehen. Die zwei Monate sind so schnell vergangen und ich hatte mit Hausarbeit schreiben, auf eine mündliche Prüfung vorbereiten und der Teilnahme am Auswahlseminar der Studienstiftung doch ein recht straffes Pensum. Aber ein bisschen war ich dann doch unterwegs. So gings am 12. März als Erstes zur Tattooconvention. Zusammen mit meiner Kollegin und ihrem Mann hatte ich einen sehr coolen Abend zwischen Tattooständen, alten Brauereifässern und dem Außenzelt mit Livemusik in der Location der Schleppe Brauerei .

Erstes Stockwerk im Phoenix Book Café (Bild: ich)

An einem Nachmittag haben wir uns dann auch noch einen Drink in dem von Harry Potter inspirierten Phoenix Book Café gegönnt. Mit seinem detailverliebten Interior, jeder Menge Merchandiseartikeln und einer Harry-Potter-Speiskarte ist es der perfekte Ort zum Verweilen für Buchliebhaber:innen.

Natürlich konnte ich es mir auch nicht nehmen lassen, ins Theater zu gehen. Für die Oper Hiob habe ich leider keine Karte mehr bekommen, dafür war ich bei der Aufführung Der Feuervogel/Carmina Burana. Zusammen mit dem Orchester und einem 70-Mann/Frau starken Chor brachte die Wiener Performing Academy die Werke von Stravinsky und Carl Orff schillernd-leicht und zugleich opulent auf die Bühne. Zuletzt gings noch ins Kino. So war ich zum Einen in Sissi & ich, dessen Drehbuch von meinem Lieblingsautor Christian Kracht und seiner Frau Frauke Finsterwalder geschrieben wurde. Und wie ihr in meinem Bericht nachlesen könnt, habe ich außerdem die wunderbare Doku über Lars Eidinger gesehen und mich ein bisschen verliebt. 🙂 Aber lest selbst: Lars Eidinger – Sein oder nicht sein.

Die Ruhe vor dem Sturm: Galeriesicht im Klagenfurter Theater (Bild: ich)

Noch ein bisschen Christine Lavant – Fangirling

An dem freien Ostermontag habe ich mich dann auf den Weg in das 1,5 Stunden entfernte St. Stefan im Lavanttal gemacht. Das kleine Örtchen ist der Geburtsort von Christine Lavant und auch ihr Leben hat die Autorin größtenteils dort verbracht. Der Wettergott meinte es gut mit mir: Nach zwei verregneten Ostertagen konnte ich bei strahlend blauem Himmel durch die Straßen von St. Stefan schlendern und habe ihre Grundschule und ihr Wohnhaus entdeckt. An ihrem Grab habe ich fast eine Stunde verbracht, eine Kerze für sie angezündet und über die Begegnungen mit ihr während meines Praktikums nachgedacht. Und obwohl ich nicht gerne auf Friedhöfen bin, habe ich es keine Sekunde bereut, diesen Grabbesuch einem Ausflug an den Wörthersee vorgezogen zu haben.

Grab (links) und Geburtshaus (unten) von Christine Lavant und Natureindrücke St. Stefan (Bild: ich)

Fazit: Das lange Warten hat sich gelohnt

Es war genau der richtige Ort und genau die richtige Zeit. Ich wurde von meinen Kolleg:innen von Anfang an sehr herzlich aufgenommen und habe mich in dem Arbeitsumfeld sofort wohl gefühlt. Alle sind mit gemeinsamen oder individuellen Projekten beschäftigt, sei es der Ausbau der Plattform Musil online, der Forschung- und Übersetzungsarbeit zu kärntner-slowenischen Autor:innen, Lehraufträgen an der Uni oder dem Schreiben der Doktorarbeit. Es war ein bisschen wie in einer großen Wissenschafts-Kultur-Familie, in der meine Meinung jederzeit willkommen war und zu der ich einen kleinen Teil beitragen durfte. So fiel mir der Abschied auch denkbar schwer. Mein Dank geht an Alle vor Ort, die das Praktikum zu so viel mehr gemacht haben, als ein Pflichtprogramm meiner Studienordnung!

Und wer nun einmal in Klagenfurt ist, dem kann ich nur ans Herz legen dort vorbeizuschauen. Egal ob im Museum oder im Institut, ihr werdet tolle Menschen treffen und eine gute Zeit haben. Und was will man bitte mehr?!

Eingang Musil-Literaturmuseum (Bild: Dieter Resei, Agentur Zeitpunkt Klagenfurt

Mehr zum Musil-Institut und Museum findet ihr hier: Musil-Haus – Robert-Musil-Institut für Literaturforschung, AAU Klagenfurt

Wenn ihr mehr über mein Studium wissen wollt: SpuTe – eine Alternative zur Germanistik? – Natascha Huber (natascha-huber.de)

Ganz herzlichen Dank an Edith Bernhofer und Heimo Strempfl für die zur Verfügung gestellten Bilder. Schlussbild: (c) Dieter Resei, Agentur Zeitpunkt Klagenfurt

Infos zu den Stipendien von Erasmus+ findet ihr hier: Praktika | Erasmus+ (europa.eu) oder spezifisch für Passau Erasmus+ Praktikum-Stipendium • Universität Passau (uni-passau.de)

Hinweis: unbezahlte Werbung / unbezahlte Verlinkung

Natascha Huber