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Lebensoptimierung und Finanzwirtschaft- für mich erst mal eine Kombi, der ich skeptisch gegenüberstehe. Selbstverwirklichung? Ja. Aber Zahlen? Die sind so wirklich nicht Meins. Nachdem ich aber über das englische Original Die with Zero viel Positives gehört hatte, habe ich mich doch auf das Leseexperiment eingelassen, als ich gefragt wurde, ob ich das Buch rezensieren will. Die deutsche Ausgabe von Bill Perkins Lebe ein reiches Leben statt reich zu sterben ist 2020 im Finanzbuchverlag erschienen. Hier also meine Review zu dem spannenden, aber auch kontroversen Thema.

Lebensfreude sammeln mit Erfahrungspunkten

Wir sind das, was wir aus unserem Leben machen und wir bereuen am Ende nicht, woran wir gescheitert sind, sondern die Dinge, die wir nicht gemacht haben. Soweit, so gut, wissen wir alle. Bill Perkins hat in seinem Buch nun versucht das Thema aus einer wirtschaftlicheren Perspektive zu beleuchten. Kann man Glück also faktisch berechnen? Wenn es nach Perkins geht, ja. Unsere Erfahrungen und Erlebnisse können mit Punkten bewertet werden – umso größer, spannender oder herausfordernder, umso mehr Punkte. Und weil es schön ist, Erlebnisse immer wieder im Kopf durchzuspielen oder sie beim nächsten Freunde-Abend zum Besten zu geben, haben wir gleich noch einen weiteren Vorteil davon. Perkins nennt ihn die Erinnerungsdividende. Kurzum, jedes Mal, wenn wir uns an etwas erinnern oder Anderen davon erzählen, zehren wir von unseren Erlebnissen. Was nochmal Glück auf unsere Lebenserfahrung-Glücks-Statistik draufpackt.

Erinnerungsdividende nutzen: Gute Zeit mit Freunden (Bild Elevate by Pexels)

Deshalb sollen wir auch früh mit dem Sammeln solcher Erlebnisse beginnen und uns außerdem überlegen, wie wir die Erinnerungsdividende besser nutzen können. Perkins erklärt warum und wie:

  1. Wenn wir uns 20 Jahre immer wieder an ein Erlebnis erinnern können, ist dessen Dividende natürlich höher als wenn wir uns nur 10 Jahre an der Erinnerung erfreuen.
  2. Um die Erinnerungsdividende aktiv zu steigern, kann es beispielsweise helfen, mehr Fotos von unseren Aktivitäten zu machen oder ein Treffen mit Menschen zu planen, mit denen wir schöne Erlebnisse verbinden.

Punktesystem und Dividende – klingt ein bisschen wie an der Börse? Das mag sein. Schließlich hat Bill Perkins das große Geschäft als Trader gemacht, nachdem er zuerst eine Ausbildung an der Wall Street absolviert hatte und dann einige Zeit als Energiehändler aktiv war. Was im Umkehrschluss auch heißt, dass der Autor sich nicht wirklich Sorgen um sein Geld machen muss. Und jede Menge hat, das er ausgeben kann. Aber wie sieht es mit dem/r Normalverdiener:in aus?

Noch fremdes Schlaraffenland: Börse und Aktienkurse (Bild: Anna Tarazevich by Pexels)

Lieber früh ­als spät: Das Resourcendreieck

Perkins ist sehr wohl bewusst, dass es schwer ist, diesen Ansatz zu verfolgen, wenn man von der Hand in den Mund lebt. Dennoch verweist er auch gerade für die Jüngeren darauf, dass es zahlreiche kostenlose Angebote gibt. Viele Menschen nutzten die regionalen, kulturellen Möglichkeiten oft gar nicht so ausgiebig, wie sie könnten. Dennoch empfiehlt er, das Geld in den jüngeren Jahren stärker auszugeben und erst später zu sparen. Wir werden durch Erziehung und Gesellschaft allerdings genau zum gegenteiligen Verhalten angeregt.

Als Grund für frühere Ausgaben nennt Perkins drei Komponenten, deren Verhältnis sich über die Jahre verändert und die im Regelfall für jeden Menschen gelten: Gesundheit, Freizeit und Geld. Je nachdem, in welcher Lebensphase wir uns befinden, haben wir meistens eines davon weniger als das andere. In unseren jungen Jahren sind wir im Normalfall mit sehr viel Energie und Gesundheit gesegnet, aber stehen noch am Anfang unserer Karriere. Somit verfügen wir noch über kein großes finanzielles Polster und haben wenig Zeit, da wir sie in unsere Arbeit stecken. Auf der anderen Seite der Lebensachse haben wir tendenziell genug Geld akkumuliert und durch die Rente ausreichend Freizeit, um tolle Erlebnisse zu planen. Aber die liebe Gesundheit ist halt nicht mehr das, was sie noch mit 20 war.

Zeit für Abenteuer? Lieber früh als spät (Bild: Laura Gafforelli by Pexels)

Für Perkins ist ganz klar: Das Wissen über diese Veränderung bedeutet, dass jede Erfahrung ihren optimalen Zeitrahmen hat. Und da anzunehmen ist, dass das eigene Einkommen über die Jahre ansteigen wird, ist es unklug, in den jungen Jahren für ein zukünftiges Ich zu sparen, das sowieso reicher sein wird. Perkins nennt als Beispiel seinen Lehrlings-Kollegen, der sich einen Kredit aufnahm, um für 1 Jahr durch die Welt zu tingeln. Was ihm damals völlig kontraintuitiv erschien, war am Ende eben doch die richtige Entscheidung: Als nun erwachsener Mensch mit familiären Pflichten könnte sein Kollege sich diesen Traum nicht mehr verwirklichen – das Geld aber hat er längst wieder reingeholt.

Bucketlist mal anders oder der Schwund von finanziellem Nutzen

Wir haben also Zeitfenster, in denen wir den größten Nutzen aus Erlebnissen ziehen können. Und irgendwann ist das Zeitfenster für jedes Erlebnis unwiderruflich geschlossen. Aus diesem Grund lohnt es sich eine Bucketlist anzulegen. Allerdings nicht so, wie wir sie kennen. Es geht nicht darum, Alles niederzuschreiben, was wir in unserem Leben noch machen wollen, sondern darum, in welchem Zeitfenster die Umsetzung dessen am Besten funktioniert.

Bucketlist heißt Glücksmomente zur richtigen Zeit sammeln (Bild: Alexey Demidov by Pexels)

Perkins rät, unsere vermutliche Restlebensdauer dafür in 10-15-Jahres-Abschnitte zu unterteilen. Als Nächstes gilt zu überlegen, welcher Bucket-Item wo am Besten rein passt. Dinge, für die man fit und ungebunden sein muss, packen wir besser in eines der früheren Zeitfenster. Er nennt dafür zum Beispiel eine Reise nach Westeuropa oder die Gründung eines Unternehmens. Diese Pläne seien optimal zwischen dem 25. und 30. Lebensjahr. Im Bereich ab 50 finden sich Vorschläge wie den Studienabschluss mit den Kids zu feiern oder eine Kreuzfahrt. Also Dinge, die Zeit oder Geld brauchen, aber nicht mehr körperlich anstrengend sind. Und dann: Liste regelmäßig anpassen.

Eine weitere Erfahrung, die seine These des Schwunds des finanziellen Nutzens bekräftigt, hat Perkins in seiner eigenen Familie erlebt: Menschen sparen fürs Lebensalter und gehen davon aus, dass sie gleichbleibende Ausgaben haben werden. Mit dem Alter fallen jedoch der Nutzen von und die Freude am Geld. Je mehr wir altern, je weniger wollen wir großartig in Erlebnisse investieren. Stattdessen verbringen wir lieber gemütlich die Zeit Zuhause und erfreuen uns an den kleinen Dingen. Als er seiner eigenen Großmutter 10.000 € schenkte, damit sie sich einen großen Wunsch erfüllen kann, hat sie sich einen Wollpulli gekauft. Und den Rest aufs Sparkonto gepackt.

Immer noch cool, aber im Alter lassen wir’s langsamer angehen (Bild: Antoni Skraba by Pexels)

Die Statistiken zeigen ähnliches. Unsere Ausgaben werden im Alter potentiell geringer. Der Grund für dieses Konsumverhalten liegt in den sogenannten Go-go-Jahren, Slow-go-Jahren und No-go-Jahren. Einfach gesagt heißt das: Als Rentner starten wir voller Tatendrang in unsere “goldenen Jahre”, dann nimmt unsere Aktivität ab und am Ende ist sie gleich null. Gespart wird aber weiter. Und das Geld, das wir uns hart erarbeitet haben, überlebt uns am Ende.

Gesundheits­­vorsorge? Rücklagen für Kinder? Ausrede.

Man könnte meinen, dass das trotzdem Sinn macht. Entweder, um für unsere Gesundheit vorzusorgen und somit eben später zu sterben oder um nach unserem Tod die Kinder damit abzusichern. Falsch gedacht, sagt Perkins.

Was die Gesundheitsvorsorge betrifft, macht es viel mehr Sinn, schon frühzeitig in die Gesundheit zu investieren, um das Beste für den Alterungsprozess herauszuholen. Für alles andere kann man sich zur Not versichern. Auch hier rät der Autor dennoch zu einer anderen Strategie. Für ihn macht es keinen Sinn bei schwerer Krankheit noch Lebensjahre über Behandlungen hinzuzugewinnen, in denen man nichts mehr mit dem Leben anfangen kann. Deshalb scheint es ihm viel sinnvoller, das Geld früher zu nutzen, um schöne Dinge zu erleben. Dazu zählt auch weniger zu arbeiten oder Arbeit gegen Geld zu delegieren, um dafür Zeit mit der Familie zu verbringen, bevor wir es irgendwann nicht mehr können.

Ein Wunsch von vielen: Die eigenen vier Wände (Bild: Naim Benjelloun by Pexels)

Ähnliches gilt für Rücklagen, die für die Kinder gedacht sind. Anhand der Tatsache, dass Geld prinzipiell früher mehr Nutzen für uns Menschen hat, sollten wir überlegen, mit welchem Betrag wir unsere Kinder konkret unterstützen möchten. Und wir sollten es vor unserem Ableben tun. Der richtige Zeitpunkt liegt dafür irgendwo zwischen 25 und 35, so Perkins. In dem Alter haben die Kinder genügend Reife, um damit umgehen zu können und sind noch jung genug, um es effizient in ihre Zukunft zu investieren. Möglichkeiten, das zu tun, gibt es genügend. Sei es zum Beispiel die Anlage des Geldes, auf das sie im entsprechenden Alter Zugriff erhalten oder die Finanzierung ihres Eigenheims.

Vergleichbares betrifft das Thema Spenden. Wenn uns ein soziales Projekt oder die Unterstützung bestimmter Institutionen am Herzen liegen, können wir zu Lebzeiten schon aktiv werden. Auch hier gilt: Es gibt jetzt schon Bedarf für Geld, um auf dieser Welt bessere Bedingen für unsere Mitmenschen, Mit-Lebewesen oder unsere Nachfahren zu schaffen. Warum also warten?

Fazit: Interessanter Ansatz aus privilegierter Perspektive

Wenn uns das Buch etwas frisch ins Bewusstsein rufen kann, ist es die Tatsache, dass Geld zwar notwendig, aber eben nicht alles ist. In erster Linie geht es darum, das Leben voll auszukosten. Was auch immer das für Jeden ganz individuell bedeutet. Um das zu ermöglichen müssen wir unser Geld richtig einplanen.

Perkins liefert in jedem Kapitel abschließend noch einmal handfeste Tipps, wie wir das konkret umsetzen können. Statistiken, Tools und Berechnungsmöglichkeiten stützen seine Argumente praxisorientiert. Dennoch sehe ich für manche Lesende zwei mögliche Kritikpunkte:

  1. Wie Perkins selbst schon sagt, ist das Buch für Leute, die finanziellen Spielraum haben. Des Weiteren setzt der Autor auch wie selbstverständlich voraus, dass sein Leser Geld in Aktien und ähnlichem angelegt hat und in der Zukunft damit kalkulieren kann. Und dass das für viele Menschen nicht der Fall ist, brauch ich wohl nicht extra erwähnen.
  2. Wenn wir davon ausgehen, dass es Zeitfenster gibt, bedeutet das auch, dass es für manche Dinge in unserem Leben zu spät ist. Das ist kein motivierender Ansatz für Menschen, die sich spät noch verwirklichen wollen. Auch wenn Perkins selber schreibt, dass spät immer noch besser ist als nie, so legt er doch den Finger in die Wunde. Später heißt, dass es schwieriger sein wird. Das widerspricht meiner persönlichen Überzeugung, dass Jeder an sich und seine Träume glauben soll. Und zwar voll und ganz. Egal wie alt er ist oder woher er kommt.

Im Großen und Ganzen ist Lebe ein reiches Leben statt reich zu sterben also eine interessante Lektüre, aus der ich ein noch stärkeres Bewusstsein für die Planung und Umsetzung meiner Lebensziele mitnehme. Dennoch bleibt das flaue Gefühl über die harte Realität sozialer Unterschiede beim Lesen präsent. Wie es so schön heißt:

“The route to achieving equity will not be accomplished through treating everyone equally. It will be achieved by treating everyone equitably, or justly according to their circumstances.”

Defining: Equity, Equality and Justice | Achieve Brown County

Und dabei weiß ich, dass auch ich – mit deutlich weniger Wohlstand als Perkins – hier noch immer von einer privilegierten Position aus spreche.

Was wir nicht vergessen dürfen: Vor allem das ZUSAMMEN zählt. (Bild: Diva Plavalaguna by Pexels)


Vielen Dank nochmal an den Finanzbuchvorlag für das Rezensionexemplar! Mehr Infos zu Autor und Buch findet ihr hier:

Bill Perkins (@billperkins) • Instagram-Fotos und -Videos

Lebe ein reiches Leben, statt reich zu sterben – So machst du das Beste aus deinem Geld und deinem Leben (m-vg.de)

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Timothy Morton: Ökologie & Star Wars – Natascha Huber (natascha-huber.de)

Bram Stokers Dracula: Frauenkonzeption oder die Epoche der Romantik – Natascha Huber (natascha-huber.de)

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