Lesedauer 5 Minuten

Nun ist er gekommen,

Nichts von der See mehr wünsch’ ich.

Tränen gab ich dem Boden,

Gebe er Blumen mir.

Madame Butterfly. Zweiter Aufzug.

So steht Cio-Cio-San, genannt Butterfly, im Abendlicht und wartet auf die Rückkehr ihres Vermählten Benjamin F. Pinkerton, dessen Schiff sie von Weitem im Hafen anlegen hat sehen. Vor drei Jahren hat er sie in Japan zurück gelassen, um Dinge in seiner Heimat Amerika zu erledigen und versprochen, bald wiederzukommen. Butterfly beauftragt ihre Dienerin Suzuki umgehend alle Blumen aus dem Garten zu holen. Sie soll die Blüten überall im Haus verstreuen und ihr ihr Brautkleid anziehen. Das ganze Haus soll voller Frühling sein, wenn ihr Geliebter endlich zu ihr zurückkommt. Bis dahin wolle sie in Stille warten.

Celine Byrne, die an diesem Abend die Rolle der Butterfly singt, steht mit Blick in die Ferne auf dem überdimensionalen Blatt Papier, das fast schwerelos auf dem Bregenzer See schwimmt. Der Wind hebt ihren seidenen Braut-Kimono, im Hintergrund stimmen Flöten und Streicher flirrende Töne an. Der Chor ertönt summend aus dem Off. Auf der Bühne fallen rosarote Blüten-Projektionen auf die aufgemalte japanische Landschaft. Sie sammeln sich zu Butterflys Füßen und fließen, als es Abend wird und der Mond am Bühnenhimmel erscheint, an ihr vorbei in die dunklen Wellen des Sees. Ihr Geliebter ist nicht gekommen.

Die Magie von Bühnenbild, Seekulisse und Celine Byrne

Spätestens an dieser Stelle hat Madame Butterfly mein Herz gebrochen. Was nicht zuletzt an der unglaublichen Schauspiel- und Gesangsleistung von Celine Byrne liegt. Sie bespielt die – trotz ihrer Imposanz auf den ersten Blick eher schlichte Bühne – voller Leidenschaft. Ob Hoffnung, Verzweiflung oder Wut, man kann physisch spüren, wie ihre Emotionen über die Sitzreihen hinweg strömen. Besonders berührt mich die Leichtigkeit/Helligkeit in ihrer Stimme, die sich von den dunkleren Opernstimmen abhebt, die ich bisher gehört habe. Auch wenn Byrne das Bühnenbild nicht gebraucht hätte, um das Publikum zu bewegen, sei erwähnt, dass dieses mehr als beeindruckende Maße zu bieten hat.

Seebühne in Bregenz (Madame Buterfly)
Das Bühnengerüst. Foto von Harry Dona auf Unsplash

Das 33 Meter breite und 23 Meter hohe und 300t schwere Blatt, das die fragile Seelenlandschaft Butterflys repräsentieren soll, wird mit mehreren stimmigen Farb- und Bildprojektionen regelrecht zum Leben erweckt.

Nicht nur das – die Bühne wird kurzerhand auf den See ausgeweitet. Butterflys Verehrer Fürst Yamadori erscheint als überdimensionaler Herrscher in rotem Umhang auf einer Trage, die von vier durchs Wasser watenden Dienern gehievt wird, und Butterfly steigt in ein großes Papierschiff, das in Anlehnung an die amerikanische Flagge mit roten Streifen und blauen Sternen bemalt ist. Wo zu Beginn noch die Sonne über der Bühne steht, verschwindet sie bald hinter dem Bregenzer See. Die Flutlichter leuchten das Geschehen weiter aus und zwischen den Tönen ist zu hören, wie die Wellen sich an den Kanten des Papiers brechen. Links und rechts ist ein rechteckiger, kleiner Monitor montiert, auf dem man den Text mitlesen kann. Noch weiter außen befindet sich ein turmartiges Gerüst mit einem größeren Monitor, der einen Blick auf das Orchester ermöglicht.

Viel zu hell ist es hier,

Zu hell und zu viel Frühling …

Schliess doch.

Madame Butterfly. Dritter Aufzug.
Beispielbild: Cottonbro (Pexels)

Am Ende realisiert Butterfly, dass Pinkerton sie hintergangen hat. Er hat in der Zwischenzeit eine Amerikanerin geheiratet und ist nur zurückgekommen, um ihren gemeinsamen Sohn mit nach Amerika zu nehmen. Nach einem Gespräch mit seinem Freund Sharpless und Pinkertons Frau Kate lässt sie ihm ausrichten, dass sie ihren Sohn gehen lasse, wenn er selbst zu ihr komme, um ihn zu holen. Sharpless und Kate ziehen daraufhin von dannen, um Pinkerton zu holen. Butterfly lässt ihren Sohn zu sich bringen und verabschiedet sich von ihm. Dann nimmt sie den Dolch an sich, durch den schon ihr Vater einen Ehrentod gestorben war. Sie legt die Klinge frei und kniet am Rande der Bühne nieder.

Dann setzt sie die Klinge unter ihrer Brust an. Als sie zur Seite kippt, ertönt Pinkertons Rufen im Hintergrund. Das Blatt geht langsam in Flammen auf. Als sie das obere Ende erreichen, explodiert der Bühnenrand und echtes Feuer erleuchtet kurz die Nacht. Dann herrscht völlige Dunkelheit.

Puccinis Butterfly, eine Gotteseingebung?

Wenn man Puccinis eigenen Worten glaubt, war er nur das Instrument, durch das diese Oper ihren Weg aufs Papier fand. Nicht weniger manieriert lässt er an anderer Stelle verlauten, dass für ihn die wahre Frau Liebende und Leidende zugleich ist. Nicht gerade ein besonders moderner Ansatz aus emanzipatorischer Sicht – oder doch?

Die Geschichte um Cio-Cio-San hat bereits einen langen Weg hinter sich, bevor sie Puccini zum ersten Mal zu einer Oper verarbeitet. Inspiriert dazu hat ihn David Belascos Ein-Akt-Drama Madame Butterfly: Eine Tragödie Japans, das er 1900 in London sah. Der Stoff, den Belascos darin verarbeitet hat, ging wiederum auf eine Kurzgeschichte des Schriftstellers John Luther Long zurück. Auch dieser hatte sich von einem anderen Werk leiten lassen. So lässt sich die Geschichte von Cio-Cio-San bis ins Jahr 1887 zurückverfolgen, in dem Pierre Lotis seinen Roman Madame Chrysanthème veröffentlichte. Auch Puccini selbst hat den Stoff immer wieder neu überarbeitet, bis er die siebte und letzte Fassung vorlegte. (Quelle: Hyunseon Lee, Programmheft)

Liebe und Seppuku als Akt der Emanzipation

“Die ‘Ehe auf Zeit’ ist eine eigentümliche Verbindung zwischen Prostitution und Ehe, zugleich aber auch ein Paradebeispiel für die Anfänge interkultureller Beziehungen. Als Phänomen, das mit der Prostitution für das Militär während des kolonialen Expansionsprozesses der Westmächte verbunden ist, dient sie als geeignetes Mittel der sozialen Kontrolle gegenüber der japanischen Seite.”

-Hyunseon Lee-

Lee, die als Dozentin für Germanistik und Medienwissenschaften an der Universität Siegen tätig ist, schreibt in ihren Ausführungen im Programmheft der Bregenzer Oper weiter, dass sich Puccinis Umsetzung des Stoffes zwischen den Paradigmen Romantik und Politik bewege. Dieses Spektrum mache nicht zuletzt die unvergleichliche Aktualität der Oper aus. Butterfly kämpfe mit ihrer Eheschließung mit einem amerikanischen Mann um die Emanzipation von den einengenden, traditionellen Strukturen der japanischen Kultur der damaligen Zeit. Amerika, auch hier als Sinnbild für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, entpuppe sich in seiner Fremdheit und dem Eingreifen in das Heimatland Butterflys jedoch als ein Nicht-Ort, an dem sie nicht existieren kann.

Auch für Andreas Homoki vertritt Cio-Cio-San in Puccinis Oper eine emanzipatorische Haltung. In seinem Beitrag schreibt er, dass ihr Handeln bis zum Schluss von Selbstbestimmung geleitet sei. Selbst als sie merkt, dass sie dem System nicht entrinnen kann und die wahre Liebe und der Neuanfang in Amerika eine Illusion waren. Um ihre Ehre wiederherzustellen und sich nicht anpassen zu müssen, begeht sie den für das Land traditionellen Suizid (Seppuku):

An diesem Punkt entscheidet sie sich dann nicht für ein Leben in Japan, sondern für den Tod. Sie lebt einen radikalen Traum von der Veränderung ihres Lebens als Frau in dieser Gesellschaft.

Andreas Homoki
Nach zwei Stunden Spielzeit : Die Darsteller:innen stellen sich dem verdienten Applaus. (Bild: Ich, 6. August 2022)

Auch wenn diese Art von Emanzipation befremdlich erscheinen mag – insgesamt ist Puccinis Oper ein berührendes Kunstwerk, das mich in der Bregenzer Inszenierung mit imposanter Kulisse und seiner ganz eigenen Stille für sich eingenommen hat. Zuletzt strömt das Flutlicht über die nächtliche Bühne und die Darsteller:innen stellen sich dem anhaltenden Applaus der begeisterten Zuschauermenge. Besonders tosend und von lauten Jubelrufen begleitet würdigt das Publikum die Darstellung von Sharpless, an dem Abend gespielt von Yngve Søberg, und den heimlichem Star des Abends: Butterflys Sohn Dolore. Dolore (ital.), für Kummer. Ein Eindruck, der bleibt.


Den Ticketvorverkauf findet ihr hier: Ticketverkauf

Leider war während der Aufführung für Normalbesucher fotografieren verboten. Hier aber ein Artikel der Bochumer Zeitung mit weiteren Eindrücken: Bericht Bochumer Zeitung

Wenn ihr meine Rezension zu Wagners Oper “Die Walküre” in Landshut lesen wollt, geht’s hier lang. Die Walküre: Eine filmreife Leistung

Hinweis: unbezahlte Werbung / unbezahlte Verlinkung
Natascha Huber