Lesedauer 8 Minuten

Positive Mindset und Imposter-Syndrome – zwei Modebegriffe, die uns rund um die Themen Persönlichkeitsentwicklung und Leistungsgesellschaft immer wieder begegnen. Obwohl sie sich dabei wie zwei Extrempole konträr gegenüberstehen und das eine das andere auszuschließen scheint, ist das nicht zwingend immer der Fall. Wie das aussieht und warum ich der lebende Beweise dafür bin, erzähl ich euch im heutigen Artikel.

Der Ursprung allen Optimismus: Positive Psychologie

Wir Menschen wollen glücklich sein – was für eine Überraschung. Und die Frage danach, wie wir das schaffen können, stellen sich seit geraumer Zeit viele kluge Leute. Angefangen hat das mit Martin Seligman, dem Begründer der positiven Psychologie. Ausgehend von Maslows bekannter Bedürfnispyramide, die erstmals das breite Spektrum der menschliche Motivation hierarchisch abbildete (siehe Graphik), entschied Seligmann, dass sich die Psychologie nun lange genug mit den negativen Dingen beschäftigt hatte und sich dem Positiven zuwenden sollte. Statt sich auf die Therapie von psychischen Erkrankungen, wie z.B. Depression oder Angststörungen, zu fokussieren, wollte er herausfinden, welche Faktoren uns Menschen glücklich machen. Das Ergebnis seiner Forschungsarbeit ist das sogenannte PERMA-Schema, dessen Faktoren auch bekannt sind als die 5 Säulen des Glücks: Positive Emotionen, Engagement, Beziehungen, Sinn und Zielerreichung (Quelle: Grundlagen Positive Psychologie).

Die Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow (Grafik: Ich via Canva)

Jedenfalls hat Seligman mit seinen Ideen eine wahre Lawine losgetreten. Der Wandel von der klassisch therapeutischen Psychologie über Maslows Humanpsychologie hin zu Seligmans Positiver Psychologie hat den Weg für einen neuen Markt geebnet: Das Angebot an Ratgebern zu Selbsthilfe oder Selbstoptimierung boomt seit Jahren. Und mittendrin funkelt dieser hübsche Begriff – Positive Mindset. Googlet man das Funkelstück einmal, findet man folgende Definition:

Positives Denken […] ist eine Denk-Methode, bei welcher das eigene bewusste Denken konstant positiv zu beeinflussen versucht wird […], um eine dauerhaft konstruktive und optimistische Grundhaltung zu erreichen und infolgedessen eine höhere Zufriedenheit und Lebensqualität zu erzielen.

Positives Denken – Wikipedia

Und ja, das liebe Wikipedia hat recht. Genauso läuft es. Also das Glas halb voll sehen, anstatt halb leer. Am Besten immer noch, wenn es dir grad Jemand vom Tisch geschubst hat. Dass das nicht immer klappt, muss ich, denke ich, Niemandem erklären. Mir gefällt da die Interpretation von Mel Robbins ganz gut. Sie sagt nämlich, dass ein positives Mindset nicht bedeutet, sich alles schön zu reden, wenn es sch***** läuft. Stattdessen geht es darum, sich die Situation bewusst zu machen, zu verstehen, dass sie nur temporär ist und dann aktiv zu versuchen, sie zu verbessern.

Eng mit dieser Sichtweise verbunden sind auch die von Wissenschaftlerin Carol Dweck geprägten Begriffe des Fixed und Growth Mindset. Während Menschen mit ersterem davon ausgehen, dass Glück und Erfolg nicht in ihrer Hand liegen, sondern durch Herkunft oder Talent festgelegt sind, gehen Menschen mit einem Growth Mindset Herausforderungen und Rückschläge mit dem Glauben an, dass sie daraus lernen und ihre Zukunft positiv gestalten können. Und dann gibt es da noch so Menschen wie mich – die irgendwo dazwischen stecken.

Das Imposter-Syndrom: Fühlen wie ein Hochstapler

Oder Trickbetrüger. Oder Schauspieler. Vielleicht auch einfach nur wie ein Ballon voller heißer Luft. Wie man es dreht und wendet: Das Grundgefühl des Imposter-Syndromes (auch dt. Impostor-Syndrom oder Hochstapler-Syndrom) ist Selbstzweifel. Und ich kenne es zu gut. Der Gedanke, dass man eigentlich gar nichts kann und ü-b-e-r-h-a-u-p-t nicht weiß, wie man jetzt diese 1.0 in der Klausur geschafft oder den neuen Posten am Arbeitsplatz bekommen hat. Dass jeder Erfolg nur Zufall oder Glückssache ist – aber sicher nicht die Konsequenz der eigenen Fähigkeiten. Und anstatt sich zu freuen, fängt man an zu grübeln und hat das dringende Bedürfnis sich vor den kommenden Herausforderungen zu drücken – weil man sich schon scheitern sieht. Und dann das ganze Kollegium hinter vorgehaltener Hand lacht. Oder der/die Dozent:in Einen in der nächsten Vorlesung mit großen, irritierten Augen anguckt, wenn man plötzlich was Falsches sagt.

Am liebsten perfekt: Ein zu hoher Anspruch an uns selbst (Bild: Timothy Paule by pexels)

Ich weiß ja nicht, wie es euch so damit geht – aber ich hasse es, Fehler zu machen. Obwohl ich weiß, dass das ganz normal ist und es uns hilft, voranzukommen. Ich bevorzuge es trotzdem, in allem ein Naturtalent zu sein und darauf zu warten, dass mir Dinge leicht von der Hand gehen. Und das am Besten von A wie Abendkleider nähen bis Z wie zehn Instrumente spielen. Probiere ich dann etwas aus und es klappt nicht so gut, bin ich schnell dabei, es mir auszureden: Ist halt nix für mich. Damit kommt man aber nicht weit und selbst mit Talent brauchen Dinge ihre Zeit. Ich will einfach nicht glauben, dass Shakespeares erster Schulaufsatz oder seine heimlichen Liebesgedichte in der Schublade schon der Oberknaller waren. Und auch ein Albert Einstein hat sich bestimmt am Anfang seiner Karriere einmal verkalkuliert. Ganz sicher.

Nun einmal im Ernst. Das Schlimmste am Impostor-Syndrom ist vor Allem, dass es uns ausbremst. Es hat nicht nur Einfluss auf unsere Performance, die vielleicht tatsächlich schlechter ausfällt, weil wir genau davor Angst haben. Es hält uns vor Allem davon ab, überhaupt an unseren Träumen und Zielen zu arbeiten. Den ersten Schritt zu machen, um ein neues Kapitel in unserem Leben aufzuschlagen. Zum Beispiel endlich für den Traumjob bewerben. Oder den Tanzkurs machen. Ein kleines, eigenes Business aufziehen. Und schwupp, bevor man sich umsieht, sind 10 Jahre vergangen. Und der Traum blubbert immer noch in der Luftblase.

Meine Luftblase: Germanistikstudium 2002 vs. 2020

So sieht eine Zeitspanne aus, die es Einen kosten kann, wenn man nicht an sich selbst glaubt. Oder auf Andere hört, die Einem sagen wollen, wozu man fähig ist und wozu nicht. Falls ihr meinen Blog über meinen Weg ins Studium gelesen habt, kennt ihr die Story ja schon. Für alle die neu sind nur ganz kurz die Zusammenfassung. Ich habe 2002 die Realschule eher suboptimal abgeschlossen (Mathe 4, BWR 5, Engl 2, Deutsch 2). Von meiner frisch entdeckten Liebe zur Literatur überzeugt, wollte ich gerne anschließend mein Abitur machen und dann Germanistik studieren. Da mein Umfeld davon überzeugt war, dass ich das mit meiner Lerndisziplin nicht schaffen würde und so ein brotloses Studium sowieso nur “was für die anderen ist”, habe ich eine Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht.

Auch so ein Problem: Overthinking. Und die Zeit geht vorbei. (Bild: Thirdman by Pexels)

Fast 10 Jahre später war ich nicht viel weiter. Trotz erster Erfolge als Lyrikerin, meiner ehrenamtlichen Arbeit als zweite Vorsitzende eines Literaturvereins und einem Stipendium vom Kultusministerium. Mit 25 dachte ich nun, es sei zu spät. Ich war überzeugt davon, dass ich es so lange Zeit nach meinem Schulabschluss erst recht nicht mehr schaffen könne. Deswegen habe ich meinen Traum erneut auf die Wartebank verbannt.

Auch zu diesem Phänomen hat Mel Robbins mal was Kluges gesagt: Entweder du verfolgst deine Träume oder sie verfolgen dich. Das klingt vielleicht etwas drastisch, aber es stimmt. So war auch mein Wunsch Literatur zu studieren irgendwann so unerträglich, dass ich mit 32 doch noch begonnen habe, mein Abitur nachzuholen. Und hier sind wir nun: Nächstes Semester schreibe ich meine Bachelorarbeit.

Ende gut, alles gut?

Nein. Das wäre ja auch zu einfach. Ich schreibe diesen Artikel, weil es eben gerade nicht so gut klappt mit dem Positive Mindset-Ding. Mein Job als Rezeptionistin verlangt mir (und meinen Kolleginnen) aktuell viel ab. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich 20 Bücher aus der Universitätsbibliothek. Drei Seminararbeiten wollen bis Ende September geschrieben werden. Das Thema für meine Bachelorarbeit ist immer noch nicht gefunden. Meine Angststörung feiert Dauerparty. Und anstatt den Herausforderungen motiviert entgegenzutreten, bin ich im Moment schlicht müde davon.

Auch die Zweifel sind zurück. Schließlich heißt es immer überall, wenn man seinem “Sinn des Lebens” folgt und an Dingen arbeitet, die Einem wichtig sind, fühlt man sich voller Energie und im Flow. Ich sitze aber vor meinen Hausarbeiten und schreibe mich mühsam vorwärts. Von Flow ist da weit und breit nichts zu sehen. Abends bin ich dann so k.o., dass ich auch keine Lust mehr habe, an meinen anderen Traum-Luftblasen zu arbeiten. Da gibt es nämlich noch so ein paar, die ich gerne aus den hohen Sphären ins echte Leben holen möchte. Ohne noch einmal 18 Jahre zu warten. Was also tun?

Wir haben es selbst in der Hand: Zeit zu handeln. (Bild: thought catalog by pexels)

Gerade jetzt, wo ich hier sitze und den Artikel für euch schreibe, merke ich, dass es mir gut tut. Der Stress ist kurz vergessen, ich fühle mich wach und happy. Es muss auch gar kein perfekter Blog werden. Ich schreibe einfach über meine Gedanken und Erlebnisse. Und vielleicht ist es für den ein oder anderen ein Zeichen, trotz Durchhänger weiter auf seine/ihre Träume zuzusteuern. Das ganze Leben ist ein Zyklus, in dem wir unterschiedliche Phasen durchlaufen. Manche davon bringen uns schnell voran, in anderen müssen wir etwas langsamer machen und Luft holen. Das scheint oft schwer zu akzeptieren. Das heißt aber nicht zwingend, dass wir tatenlos dabei zugucken müssen, wie die Zeit verrinnt. Wir können zumindest ein paar Lücken im Tag mit etwas füllen, das uns Energie zurückgibt.

Meine aktuelle Luftblase: Endlich wieder Kultur.

Es gibt ja bekanntlich Leute, die viel reden, aber am Ende nichts zustande bringen. Und dann gibt es Leute, die ihre Taten sprechen lassen. Ich möchte nicht zur ersteren Kategorie gehören. Mein Imposter-Syndrom sorgt allerdings auch dafür, dass ich nicht immer zur zweiten Kategorie zähle. So habe ich schon seit Monaten Projekte im Kopf, die ich von einem Quartal zum nächsten schiebe. Und da sind sie wieder: Die Selbstzweifel. Immer scheint nicht der richtige Zeitpunkt oder es fühlt sich so an, als hätten es schon 100 andere vor mir besser gemacht, als ich je könnte. Das ist fast so ein bisschen wie bei Robert Musils Protagonisten in Die Verwirrungen des Zögling Törleß, über den ich gerade meine Hausarbeit schreibe. Der scheitert in einer Passage an der Kant-Lektüre und seinen eigenen schriftstellerischen Versuchen – weil er denkt, dass mit Goethe und Kant alles gesagt ist und da nichts mehr kommen kann.

Dabei bin ich von den zwei folgenden Ansätzen aus der Positive Mindset-Sphäre ebenfalls überzeugt:

  1. Der Erfolg der Anderen zeigt nur, dass es möglich ist – und du es somit auch schaffen kannst.
  2. Jeder Mensch ist durch seine Persönlichkeit und seine Lebenshintergründe einzigartig. Deswegen kannst nur du etwas so machen, wie du es machst.

Vielleicht lassen sich ja diese kleinen Lücken am Tag mit ein paar einfachen Aufgaben füllen, die uns das Gefühl geben, wenigstens ein bisschen an unseren Träumen zu arbeiten – und an uns zu glauben. Damit wir bereit für Größeres sind, sobald wir wieder Raum und Energie dafür haben.

Anfangen. Erste ToDos.

Zeit für kleine Schritte also. Auch ich habe mich in den letzten Wochen hingesetzt und mir überlegt, was meine Energieressourcen noch so hergeben. Viel ist es nicht. Die Liste meiner Projekte/Träume ist ellenlang und reicht für die nächsten 5 Jahre. Und jedes Jahr kommen neue dazu. Für mich sind es vor Allem drei Dinge, die ich mir schon so lange vornehme und für die ich immer wieder Ausreden finde, um gar nicht erst anzufangen. Es könnte ja schief gehen. Aber wie mein Wunsch zu studieren – sie gehen mir nicht aus dem Kopf und es macht mich verrückt, nicht endlich wieder auf der Bühne zu stehen und mit anderen Künstler:innen zusammenzuarbeiten.

Meine Projekte und erste To dos für die nächsten Wochen (Grafik: Ich via Canva)

Letzten Endes wissen wir also ganz genau, was wir wollen. Wir müssen nur auf unser Gefühl hören. Deswegen wird es wirklich Zeit, das auch endlich zu tun. Um damit wieder zurück zum Anfang zu kommen: Kampf der Giganten hin oder her – ich habe mich ganz klar für einen Sieger entschieden. Ich hoffe, ihr auch.


Wenn ihr die Geschichte über meinen Weg ins Studium nachlesen wollt: 34, tätowiert, Arbeiterkind – Ersti. (Teil 1) – Natascha Huber (natascha-huber.de) (Teil 2 gibt’s auch)

Wenn ihr mehr über den Umgang mit der Angststörung und daraus resultierende Herausforderungen wissen wollt, findet ihr hier meinen Blog dazu: Austherapiert. Zeit, die Welt zu erobern? – Natascha Huber (natascha-huber.de)

Zu Seligmans 5 Säulen des Glücks kann ich euch diesen netten Blog von soulsweet empfehlen: Die fünf Säulen des Glücks: Wie du das PERMA-Modell für dein erfülltes Leben nutzen kannst – soulsweet

Hinweis: unbezahlte Werbung / unbezahlte Verlinkung
Natascha Huber